Totgesagte leben länger

Nach fast einem Jahr dürfen Schweizer Lichtspielhäuser wieder auf der grossen Leinwand Filme präsentieren. Doch hat das Kino in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Zukunft?

Cineasten in der Schweiz haben allen Grund zu feiern: Seit dem 19. April dürfen die Kinos hierzulande endlich wieder ihre Tore öffnen, und Filmfans haben die Möglichkeit, auf der grossen Leinwand mit ihren Lieblingshelden*innen mitzufiebern. Bei den Betreiber*innen der Kinos ruft die Öffnung der Lichtspielhäuser geteilte Meinungen hervor. Denn das Durchsetzen der Massnahmen bringt auch einen markanten Einbruch der Einnahmen mit sich. Besonders durch das Konsumationsverbot, mit welchem auch ein Verkaufsverbot einher geht, büssen die Kinos deutlich Gewinn ein. Die Regelung, dass nur noch ein Drittel aller Sitzplätz besetzt werden darf, schlägt sich in der Jahresabrechnung nur marginal nieder. Denn Kinos verzeichnen schon seit mehreren Jahren immer weniger Besucher. Schon seit den 80er-Jahren lässt sich diese Erscheinung beobachten: In der Schweiz, wie auch auf der ganzen Welt, verliert der Kinobesuch immer mehr an Reiz. Mit 11,7 Millionen Besucher*innen verzeichnete das Jahr 2018 (abgesehen von 2020) die tiefste Anzahl verkaufter Tickets in der Schweiz seit 30 Jahren. Die sich abzeichnende Tendenz verspricht für die Zukunft der Lichtspielhäuser nichts Gutes. Der Geschäftsführer des Schweizerischen Kino-Verband (SKV) Cedric Bourquard sieht dieser Entwicklung jedoch gelassen entgegen: «Das Kino wurde schon öfter totgesagt, als die darin vorkommenden Helden.» So läuteten weder Fernsehgeräte, welche ab den 50er-Jahren massiv zunehmend in dem Wohnzimmer vorzufinden waren noch das Aufkommen der DVD, welches erlaubte, seinen Lieblingsfilm zu Hause jeder Zeit zu geniessen, das Ende der Kino-Ära ein. «Solange gute Filme im Kino laufen, gehen Menschen auch ins Kino.», sagt Bourquard. «Somit liegt die Verantwortung in den Händen der Filmemacher.»

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Ohne Deutschland keine Filme für die Schweiz

Bei den Kinos ist es wie überall: Am härtesten traf der Corona-Lockdown die kleinen Betriebe, die nicht von einer grossen Kette finanziell abgesichert werden. Eine schwarze Zukunft sieht deshalb auch der Betreiber des Frauenfelder Schlosskinos Mato Prosenik. Trotz angemeldeter Kurzarbeit und einer online-durchgeführten Geistervorstellung (siehe Video-Beitrag), fürchtet Prosenik um eine Schliessung. «Selbst wenn ein Kino mit den momentanen Auflagen langfristig finanziell überleben könnte, was es nicht kann, fehlen in der Schweiz momentan jene Filme, die Menschen in die Säle locken.», sagt Prosenik. Hierzulande dominiert zwar momentan mit «Wonder Women 1984» von Patty Jenkins ein Hollywood-Film die Kino-Charts, doch dieser lockte aufgrund vernichtender Kritiken und der Tatsache, dass er schon seit Dezember auf Streaming-Plattformen verfügbar ist, nur weniger Schweizer in die Kinos. Vielmehr hoffte Prosenik auf ein zeitgleiches Starten des Mega-Blockbusters «Godzilla vs. Kong» von Adam Wingard und der Wiedereröffnung der Schweizer Kinos. Doch die amerikanische Filmgesellschaft Warner Bros. Entertainment setzt den Starttermin einer deutschsprachigen Version einer Grossproduktion gezielt auf ein Datum mit genügend Abnehmer deutschsprachiger Filme. Somit müssen sich Schweizer Kinobesucher*innen wohl noch bis Mitte Juni gedulden, wenn voraussichtlich auch in Deutschland Filmvorführungen wieder stattfinden dürfen.

Bildschirm vs. Leinwand

Die Kinocharts der USA zeigen, dass bei «Godzilla vs. Kong» die Nachfrage für Kinotickets sehr hoch ist. So spielte der Streifen am zweiten Wochenende bereits 13,4 Millionen Dollar ein, was angesichts der momentanen Lage ein enormes Einspielergebnis darstellt. Doch «Godzilla vs Kong» lässt auch jene etwas Hoffnung schöpfen, die sich um das Aussterben der Kinos fürchten. Denn gleichzeitig zu seinem Kinostart in den USA, veröffentlichte Warners Bros. Entertainment den Film auch auf seinem hauseigenen Streamingdienst HBO Max ohne Aufpreis. Die ausserordentlich hohen Besuchszahlen zeigen aber, dass echt Filmfans Action-Spektakel auf der grossen Leinwand bevorzugen. Schon im Jahr 2015 produzierte der Streamingdienst Netflix mit «Beast of no Nation» von Cary Joji Fukunaga einen Film, der abgesehen von wenigen Kinostars in den USA nur für die Abonnenten der Plattform zu sehen ist. Spätestens seit 2019 mit «Roma» von Alfonso Cuarón eine Netflix-Produktion drei Oscars gewinnen konnte, geniessen solche hauseigenen Produktionen nicht mehr den Ruf von zweitklassigen TV-Filmen und gehören zum festen Geschäftsmodell von Streaming-Anbietern: Im Jahr 2020 veröffentlichte der amerikanische Medienkonzern über 100 eigene Filme. Die Behauptung, dass Netflix & Co. tatsächlich für einen Rücklauf der Besucher*innen verantwortlich sind, ist nicht richtig. Laut einer Studie der EY Quantitative Economics and Statistics (QUEST) streamen jene, die pro Jahr acht oder mehr mal ins Kino gehen auch am meisten Stunden pro Woche einen Streamingdienst. So scheint es, dass filmaffine Menschen nicht auf den Kinobesuch verzichten können. Um in Zukunft weiter Menschen in ihre Vorstellungen zu locken, müssen die Kinobertreiber*innen das Kinoerlebnis optimieren. Bourquard meint dazu: «Das Heimkino ist dem Kino rein qualitativ dicht auf den Fersen, umso wichtiger ist es für uns, etwas Exklusives zu bieten.» So bieten manche Kinos heute schon Fragerunden mit mitwirkenden Schauspieler*innen und Regisseur*innen an. Aber das Übertragen von Opern oder der neusten «Tatort»-Folge wird heute schon praktiziert. Dies alles zeigt, was das Kino im Kern ausmacht: Gemeinsam in einer Gruppe Emotionen zu erleben.


«Der dritte Akt des Kinos hat noch lange nicht begonnen»

Dank Corona und Streamingdiensten besuchten immer weniger Schweizer das Kino. Warum es aber nicht zu einer Schliessung der Lichtspielhäuser kommen wird, verrät der Geschäftsführer vom Kino-Verband Schweiz Cédric Bourquard im Interview

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Der Geschäftsführer des Schweizerischen Kino Verbandes (SKV) Cédric Bourqard.

(Quelle: https://www.srf.ch)

Vor gut einem Monat hat der Bundesrat bekannt gegeben, dass Kinos wieder öffnen dürfen. Kam diese Ankündigung für Sie überraschend?

Cédric Bourquard: Es hätte mich mehr überrascht, wenn es geheissen hätte, die Kinos bleiben den ganzen Sommer über zu. Trotzdem war ich ein bisschen erstaunt und natürlich sehr glücklich.

Und die Auflagen? Wie schätzen Sie diese ein?

Die Massnahmen ergeben für mich nur bedingt Sinn. Das Konsumationsverbot zum Beispiel: wenn im Kino sowieso nur nebeneinander und nicht hintereinander Platz genommen werden darf. Trotzdem gilt es natürlich, diese Regeln zu befolgen. Zudem bin ich mir sicher, dass bald schon eine Auslastung von 50% erlaubt sein wird.

Also wird das Kino diese Krise überleben?

Auf jeden Fall. Das Kino wurde schon öfter totgesagt als die darin vorkommenden Helden. Natürlich sind momentan an vielen Orten die finanziellen Reserven aufgefressen, doch die Kurve steigt langsam wieder nach oben. Auch wenn die Zeiten für die Betreiberinnen und Betreiber schwer waren, so gibt es in der Schweiz keinen einzigen Fall eines Kinos, das pandemiebedingt für immer schliessen musste.

Aber schon vor Corona gingen die Zuschauerzahlen zurück…

Ein trauriges Phänomen. Trotzdem kam 2019 mit «Avengers: Endgame» der erfolgreichste Film aller Zeiten in die Kinos. Besuchszahlen sagen nicht alles aus! Ein sehr guter Film kann ein eigentlich durchschnittliches Kinojahr zu einem erfolgreichen an den Kassen machen. Genauso wie konkurrierende Sportveranstaltungen das Gegenteil bewirkten können. Doch solange mit Filmen wie «Avengers: Endgame» Geld verdient werden kann, werden uns auch weiterhin die Kinos erhalten bleiben. Im Stücki-Park in Basel beispielsweise baute man vergangenes Jahr ein Multiplex Kino mit 14 Sälen. Der dritte Akt des Kinos hat also noch lange nicht begonnen.

Während des Lockdowns konnten Streamingdienst einen enormen Zuwachs an Abonnenten verzeichnen. Weshalb sollten Freunde des Films nicht einfach ab jetzt Film von zu Hause aus geniessen?

Weshalb sollte ich nach der Pandemie ein Konzert besuchen? Ich kann mir ja zu Hause mit meiner Musikanlage ein Livealbum anhören. Der Grund ist der gleiche: Weil es darum geht, mit anderen Menschen gemeinsam etwas zu erleben: sich fürchten, lachen und weinen. Die Lust am Kino ist geblieben, und die Sehnsucht danach ist so gross wie nie. Nur im Kino sitzt man zwei Stunden ungestört, ohne auf das Handy zu schauen. Man vergisst seine Probleme und die Welt um sich herum und taucht in eine andere ein. Trotzdem weiss ich, dass sich viele Menschen diese Frage stellen, denn das Heimkino ist dem «richtigen» Kino rein qualitativ dicht auf den Fersen. Umso wichtiger ist es für uns etwas Exklusives zu bieten. Sei es mit der neuen 4D Technik, wie sie in einige Schweizer Kinos schon vorhanden ist, oder durch die Möglichkeit, eine Pizza direkt an seinen Platz zu bestellen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass dies alles nur Zusatzelemente bleiben. Das Wichtigste ist der Film selbst. Solange gute Filme im Kino laufen, gehen Menschen ins Kino. Somit liegt die Hauptverantwortung in den Händen der Filmemacher.

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Quelle: www.bfs.admin.ch & www.statista.com

Spenden sammeln mit Hilfe einer Geistvorstellung

Da aufgrund der Massnahmen für ein Jahr keine öffentlichen Filmvorführungen mehr erlaub waren, suchten Kinobetreiber*innen anderweitig nach Möglichkeiten in diesen Zeiten Geld zu verdienen. Der Leiter des Frauenfelder Schlosskinos hatte eine besonders kreative Idee.

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